GENUINE - Gender Inclusive Design in der User Interface Entwicklung

Ziel des GENUINE Projekts ist es, durch die Kombination der Ansätze Gender HCI und UI Engineering zu gender-inklusiven Produkten im IKT-Sektor beizutragen.

Kurzbeschreibung

Fragestellung

Welche Interaktionsmöglichkeiten und Charakteristika müssen UIs (User Interfaces) aufweisen, damit sie von Frauen und Männern verschiedenen Alters und unterschiedlichster Bildungsherkunft und Vorerfahrung gleichermaßen effektiv, effizient und zufriedenstellend genutzt werden können?

Hintergrund des Projekts

Der Umgang mit Computern (Human-Computer Interaction, HCI) ist für die meisten Menschen unserer Gesellschaft heute eine Selbstverständlichkeit. Gender HCI ist ein relativ junges Forschungsfeld in der HCI, das Unterschiede von Männern und Frauen im Nutzungsverhalten von User Interfaces (UI) untersucht.

Vor dem Hintergrund, dass die meisten neuen Technologien (Smartphones, Tablet-PCs) und dazugehörige interaktive Applikationen von männlich dominierten Entwicklungsteams gestaltet werden, ist die Frage zu stellen, ob die gewählten Lösungen UIs hervorbringen, die inklusiv sind.

Geschlechter-/Gender-Konzeption

Gender HCI bedeutet nicht einfach farbliche und stilistische Anpassungen für Frauen und Männer vorzunehmen, die durch die gängigen Rollenstereotype inspiriert sind. Vielmehr analysiert GENUINE, ob es überhaupt einen signifikanten unterschiedlichen Umgang von Männern und Frauen mit UIs gibt und ob nicht andere Faktoren wie Alter, Bildungshintergrund oder Vorerfahrungen eventuelle Unterschiede besser erklären, als der Faktor Geschlecht.

Ergebnisse

Da zu Beginn des Projekts die Firma net4you als Industriebeiratspartnerin gewonnen werden konnte, wurde beschlossen, als Testplattform die Kärntenwerbung-Website (www.kaernten.at) zu verwenden, die sowohl eine Kauf- als auch eine Buchungsapplikation zur Verfügung stellt.

Nutzer:innenstudie I

Ziel der Nutzer:innen-Studie war es, herauszufinden, ob es im Nutzungsverhalten mit IKTs signifikante geschlechtsspezifische Unterschiede gibt und ob „Gender" an sich dabei aussagekräftig genug ist, um diese Unterschiede zu erklären. Es wurden daher neben dem biologischen Geschlecht noch weitere Faktoren erhoben, die als eventuell relevant erachtet werden.

Dazu zählen:

  • Alter, Bildungsstand,
  • Technikaffinität (Einstellung und Erfahrung),
  • Erfahrung und Einstellung gegenüber online Buchungssystemen,
  • bestimmte kognitive Komponenten (Selbsteinschätzung und Navigationsstil), die sowohl die Wahrnehmung, die Informationsverarbeitung als auch das Problemlösungsverhalten beeinflussen können und
  • Erwartungen an die zu testende Website bzw. an online Reisebuchungssysteme allgemein.

Mithilfe der Website www.kaernten.at sollten die relevanten UI-Elemente identifiziert werden, die die stärksten Korrelationen zu gender- und subjetspezifischen Nutzer:innenmerkmalen aufweisen.

Dabei wurden vier Forschungsfragen getestet und folgende Ergebnisse erzielt:

Es ließ sich kein genderspezifischer Unterschied bei der Einstellung zu PCs, weder bei empfundener Nützlichkeit, Angst oder Vorliebe gegenüber Computern feststellen. Allerdings zeigten erfahrenere Nutzer:innen (i.e. Smartphonebesitzer:innen) deutlich höhere Ratings als unerfahrene in der Subskala Computer Liking, unabhängig vom Bildungsstand.

Bezüglich der Unterschiede in der Informationsverarbeitung zeigte sich, dass Frauen sowohl in der relativen als auch in der absoluten Klickanzahl häufiger „klicken" als Männer. Hinsichtlich der absoluten Seitenwechselanzahl verursachten Personen mit Matura tendenziell weniger Seitenwechsel als Personen ohne Matura.

Die relative Seitenwechseleffizienz ist bei jüngeren Nutzer:innen deutlich besser als bei älteren Nutzer:innen. Anhand des Vorfragebogens konnte gezeigt werden, dass Männer ihre Fähigkeiten höher einschätzen als Frauen. Bei einfachen Aufgaben herrscht ein deutlicher Unterschied zugunsten der erfahrenen Nutzer:innen. Bei anspruchsvollen Computeraktivitäten unterscheiden sich die Altersgruppen lediglich tendenziell – junge Nutzer:innen bewerten ihre Fähigkeiten besser als ältere.

Signifikante Unterschiede treten bei kombinierter Merkmalsgruppierung in Verbindung mit Gender auf – im Speziellen schätzen sich junge und ältere Frauen schlechter ein als junge und ältere Männer, erfahrene und unerfahrene Frauen ebenfalls schlechter als erfahrene und unerfahrene Männer, und Frauen jeden Bildungsstandes bewerten sich als weniger fähig als Männer, egal ob mit und ohne Matura. Keine dieser Gruppierungen zeigt einen intrasexuellen Unterschied, der auf den jeweiligen sozio-demographischen Faktor bezogen werden kann. Junge Nutzer:innen brauchen weniger oft Hilfestellungen und nehmen diese auch seltener an als ältere Nutzer:innen.

Die Website generell wurde von jungen Nutzer:innen höher bewertet als von älteren. Insbesondere bei Männern zeichnet sich dieser Altersunterschied ab. Bei Frauen besteht kein Zusammenhang zwischen Alter & Geschlecht. Auch zwischen Alter & Bildung ist kein genereller Zusammenhang festzustellen, abgesehen davon, dass ältere, gebildetere Nutzer:innen die Usability der Website deutlich schlechter bewerten als junge Nutzer:innen.

Entwicklung von Personas:

Den Teilnehmer:innen wurde das Konzept von Personas erklärt und danach wurden sie in zwei Arbeitsgruppen eingeteilt und gebeten, jeweils zwei Personas zu erstellen. Alle vier Personas zusammen beschreiben die vier Nutzer:innengruppen der Kärnten-Tourismus Website und verdeutlichen, dass es sich nicht um genderspezifische, sondern nutzer:innengruppenspezifische Verhaltensweisen handelt.

Das Ergebnis der vier Personas sind vier Personen (Iris, 41 Jahre alt, Lebensberaterin; Kerstin, 18 Jahre alt, Schülerin (AHS); Markus, 43 Jahre alt, Manager und Michael, 22 Jahre alt, Sportstudent), welche anhand von vier Kategorien beschrieben wurden (Technik-Affinität, Kauf- und Buchungsgewohnheiten, Gründe & Ziele, Frust & Ärgernisse).

Schließlich wurde aus den Daten der Nutzer:innen-Studie gemeinsam mit den Personas ein Richtlinienkatalog mit Design-Implikationen für gender-inklusive User Interfaces erstellt. Richtlinienkatalog GENUINE

Umsetzung der erstellten Richtlinien in interaktiven Applikationen:

Um die Allgemeinheit der Richtlinien bzw. des Einbaues dieser in das UI Generierungsframework zu überprüfen, wurde neben einer Hotelbuchungsapp eine zweite Applikationen erstellt. Dazu wurde eine Fahrradverleihapplikation ausgewählt. Dabei wurden jeweils ein Desktop und ein Smartphone GUI generiert.

Anschließend wurden diese GUIs durch applikationsspezifische Transformationsregeln und Stylesheets in mehreren Iterationen verbessert. Anschließend wurde die Fahrradverleihapplikation durch eine Heuristische Evaluierung und die Hotelbuchungsapplikation durch einen Cognitive Walkthrough evaluiert.

Die Ergebnisse des Cognitive Walkthrough dienten als Basis zur Verbesserung der Hotelbuchungsapplikation. Diese verbesserte Version der GUIs bzw. der Applikation wurde anschließend durch die zweite NutzerInnenstudie evaluiert.

Ergebnisse der nutzer:innenzentrierten Evaluation:

Es kann festgehalten werden, dass die Studienteilnehmer:innen generell mit der Lösung zufrieden waren, auch wenn an manchen Stellen noch Potenzial für Verbesserungen besteht (beispielsweise in der ästhetischen Gestaltung der Benutzeroberflächen). Ähnlich wie in der ersten Nutzer:innenstudie ist ableitbar, dass das Alter einen erheblichen Einfluss auf die Nutzung der Webseiten hat, d.h. ein generational divide war auch in dieser Studie erkennbar. Darüber hinaus scheint das Geschlecht insofern einflussnehmend, als ältere Frauen andere Bedürfnisse haben, als jüngere Frauen bzw. die Gruppen der Männer. Insgesamt lässt sich aber auf Grund der Ergebnisse schließen, dass das gender-inclusive design der Prototypen erfolgreich war, da kaum Unterschiede zwischen den Gruppen gefunden wurden.

Theoretische Reflektion über die Verbindung von Genderforschung, HCI und UI Engineering zur Steigerung der Wissensproduktion:

Der Abschluss-Workshop des GENUINE-Projektes widmete sich der Reflexion über den Forschungsprozess. Als interessanteste Erkenntnis wurde von den beteiligten Forscher:innen übereinstimmend festgehalten, dass im Verlauf des Forschungsprozesses klar wurde, dass es bei Gender-Fragestellungen nicht darum geht, gutes Design für Frauen zu machen, sondern, dass gutes Design für ALLE Menschen das Ziel ist.

Publikationen

Dissemination der Ergebnisse

Publikationen

  • Ratzer, Brigitte; Weisse, Astrid; Weixelbaumer, Barbara; Mirnig, Nicole; Tscheligi, Manfred; Raneburger, David; Popp, Roman; Falb, Jürgen (2014). Bringing Gender into Technology: A Case Study in User-Interface-Design and the Perspective of Gender Experts. In International Journal of Gender, Science and Technology, Vol 6, No 1.
  • Raneburger, David; Popp, Roman; Kaindl, Hermann; Armbruster, Alexander; Sajatovic, Vedran (2014). An Iterative and Incremental Process for Interaction Design through Automated GUI Generation. In Proceedings of the 16th International Conference on Human-Computer Interaction.
  • Raneburger, David; Popp, Roman; Falb, Jürgen; Weixelbaumer, Barbara; Mirnig, Nicole; Weiss, Astrid; Tscheligi, Manfred; Ratzer, Brigitte (2013). A Case Study in Automated GUI Generation for Multiple Devices. In Proceedings of the 11th IEEE Africon.
  • Popp, Roman; Raneburger, David; Kaindl, Hermann (2013). Tool Support for Automated Multi-device GUI Generation from Discourse-based Communication Models. In Proceedings of the 5th ACM SIGCHI Symposium on Engineering Interactive Computing Systems, EICS '13, New York, NY, USA. ACM.
  • Raneburger, David; Popp, Roman; Kaindl, Hermann (2013). Model-driven transformation for optimizing PSMs: A case study of rule design for multi-device GUI generation. In Proceedings of the 8th International Conference on Software Engineering and Applications, ICSoft '13/2013.
  • Raneburger, David; Popp, Roman; Kaindl, Hermann (2013). Design Alternatives for GUI Development with Discourse-based Communication Models. In Proceedings of the 2nd Workshop on „Modellbasierte Entwicklung von Benutzungsschnittstellen", Informatik 2013 – Informatik angepasst an Mensch, Organisation und Umwelt, S. 1 – 13.
  • Raneburger, David; Popp, Roman; Vanderdonckt, Jean (2012). An Automated Layout Approach for Model-driven WIMP-UI Generation. In Proceedings of the 4th ACM SIGCHI Symposium on Engineering Interactive Computing Systems, EICS '12, pages 91–100, New York, NY, USA. ACM.

Vorträge

  • Brigitte Ratzer. Bringing Gender into Technology – the Perspective of Gender Experts. 12th IAS-STS Annual Conference, 6-7 May 2013, Graz.
  • Brigitte Ratzer. Including Gender Perspectives to improve Technological Research Quality. CNRS-Workshop "GENDER, TECHNOLOGY AND ENGINEERING", 14. /15. Februar 2013, Paris.
  • Brigitte Ratzer. Gender expertise as knowledge transfer for better project design, European Gender Summit, 29. – 20. November 2012, Brüssel.
  • Brigitte Ratzer. Zum Zusammenhang zwischen der Integration von Gender-Aspekten und der Qualität von Forschung, Konferenz im Haus der Forschung, 6. November 2012.
  • Brigitte Ratzer. Negotiating Gender in ICT Research. In Proc. of Gender, Work and Organization 2012, 7th Biennial International Interdisciplinary Conference, 27th -29th June 2012, Keele University, Staffordshire, UK.
  • Das Projekt wurde im Rahmen des Treffens des COST-Netzwerkes genderSTE im März 2013 in Barcelona vorgestellt und diskutiert.

Nachwuchsförderung

Projektbeteiligte

Projektleitung

Prof. Dr. Manfred Tscheligi, Universität Salzburg – ICT&S Center

Beteiligte Organisationen

Universität Salzburg – ICT&S Center (Projektkoordination)

Kontaktadresse

Universität Salzburg – ICT&S Center
Prof. Dr. Manfred Tscheligi
E-Mail: Manfred.tscheligi@sbg.ac.at
Web: http://genuine.ict.tuwien.ac.at/wordpress/